Arpeggio, der Super-Droide:
Wenn der Robotnik Klavierspieler wird

Gedanken über den Unterschied zwischen Einöde und Ewigkeit, Faszination und Ehrfurcht.

Sein Untergestell erinnert an einen fahrbaren Grill, seine zahlreichen Gelenke lassen den unbedarften Betrachter fürchten, dass er die Tasten eines Pianos fest in die Zange nimmt, statt im sanften Pianissimo darüber zu streichen. Doch so befremdend das Aussehen dieses bisher einzigartigen Pianospielers auch sein mag: Arpeggio, der Super-Droide hat es drauf. Das virtuose Klavierspiel eines Vladimir Horowitz ebenso wie die genuin zurückhaltende Improvisationskunst eines Count Basie.  

Dressed like a machine: 88 Finger reproduzieren Rachmaninoff

Genau genommen ist Arpeggio natürlich kein Klavierspieler, sondern ein etwas unförmig gestalteter Roboter, eine Maschine auf Rädern, die sich vor einem Klavier positionieren kann. Sodann breitet er sein präzise angepasstes Skelett, das eben so viele „Finger“ hat, wie es Tasten gibt, über der gesamten Klaviatur aus und seine Software legt sich mächtig ins Zeug, um die Anwesenden davon zu überzeugen, dass auch Roboter Klaviermusik gefühlvoll interpretieren können. 

Oder sagen wir: dass sie die gefühlvolle Interpretation menschlicher Virtuosen perfekt imitieren können. Denn das Besondere an Arpeggio ist – im Vergleich zu anderen Playersystemen – dass er sowohl die Tastatur als auch die Pedale bedient und das weiche Pianissimo ebenso beherrscht wie ein starkes Fortissimo und jede Menge Abstufungen und Zwischentöne. 

Zwischen Faszination und Ehrfurcht liegt Vergänglichkeit

Faszinierend ist es allemal, was Arpeggio da vor dem Klavier oder Flügel hockend reproduziert. Aber ist es auch berührend? Kann ein Piano spielender Roboter dieselbe Begeisterung wecken wie ein menschlicher Pianist? Liegt die Einmaligkeit der großen Virtuosen nicht gerade darin begründet, dass sie wie jeder Normalsterbliche nur zehn Finger haben? Dass sie in all ihrer menschlichen Begrenztheit einen unverwechselbaren und unnachahmlichen Stil entwickelten, der uns auch deshalb vor Ehrfurcht erstarren lässt, weil der Mensch, der etwas Einzigartiges vermag, genau so verletzlich und vergänglich ist wie jeder von uns? 

Konservierte Genialität oder Musik aus der Konserve?

Für Nick Morris, der Arpeggio den Super-Droiden konstruiert hat, verbindet sich mit seinem selbst geschaffenen Pianoplayer der fromme Wunsch, diese unverwechselbaren Spielweisen in nie gekannter Qualität zu konservieren und der Nachwelt in einer Live-Performance neu zugänglich zu machen. Der Ingenieur mit Wohnsitz in Kalifornien ist beruflich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Verkauf, dem Service und der Installation von Playerpiano-Systemen beschäftigt. Solche Systeme lassen sich nachträglich in ein Klavier einbauen, das dann „selbsttätig“ ein Konzert gibt, während sein Besitzer anderen Tätigkeiten nachgeht. 

Arpeggio aber, so lässt uns Morris stolz wissen, ist kein Playersystem, sondern der Klavierspieler selbst. Die Beziehung, die Morris zu seinem musikalischen Droiden unterhält, erinnert ein wenig an die väterlichen Gefühle, die ein Gepetto gegenüber dem von ihm geschnitzten Pinocchio hegte. Anders als dieser, scheint sich Arpeggio aber durchgängig gut und angepasst zu benehmen.

Lässt sich Genialität konservieren?

Und vielleicht ist es gerade diese Überangepasstheit, diese sich beständig gleichbleibende Virtuosität, die die starke Antipathie, der Morris‘ Meisterwerk sich ausgesetzt sieht, begründet. Hinzu kommt, dass wir eben nicht den Menschen aus Fleisch und Blut vor uns sehen, der sich trotz und mit all seiner Vergänglichkeit einen Platz in der Ewigkeit sichert. Stattdessen lauschen wir einer Maschine, die morgen durch eine andere und noch eine andere ersetzt werden kann, ohne dass wir den Unterschied bemerken würden. Verkommt die Ewigkeit da nicht zur Einöde? 

Kunst braucht Talent, harte Arbeit und einen Hauch von Mysterium

Über 40 Tsd. Aufrufe hat Morris‘ Arpeggio-Video auf You Tube in zwei Jahren erwirken können, 104 User haben angegeben, dass ihnen das Spiel des Super-Droiden gefällt.

 
99 Fans folgen ihm auf Facebook. Demgegenüber erzielen Videos wie das einer Vierjährigen, die nicht nur körperlich, sondern aus sichtlich innerer Bewegung ein Klavierkonzert gibt, in nicht ganz einem Jahr über eine Million Aufrufe.

 
Und während sich die Kommentatoren Arpeggio gegenüber eher skeptisch bis ablehnend äußern, regt das Spiel der jungen Chinesin Menschen auf der ganzen Welt dazu an, darüber nachzusinnen, wie dies möglich ist. Drill allein kann ein solches Wunder kaum bewirken, ein Hauch von Mysterium bleibt.

Es fehlt die Stille nach dem Sturm

Dass Arpeggios Spiel gegenüber dem einer talentierten Vierjährigen faszinierend, aber unbeseelt wirkt, zeigt sich in einem weiteren Video, mit dem uns der Schöpfer eigentlich demonstrieren will, dass der Roboter Gefühle wie Freude empfindet. 

Noch bevor der letzte Ton ganz verklungen ist, bewegt sich der Super-Droide mit einem surrenden Geräusch vom Klavier fort und dreht sich einige Male „freudig-bewegt“ um die eigene Achse. Das erinnert an den verfrühten Applaus, der manchem Konzertbesucher den Genuss an einer grandiosen Darbietung nimmt – den Genuss des Nachhalls, des Ausklingenlassens, des inneren Nachlauschens und der Stille nach dem Sturm, die zugleich die Ruhe vor dem tosenden Applaus ist. 

Junge Künstler lieben den Applaus und das Stadtgespräch, das sich um sie dreht. Erfahrene Künstler wissen, es gibt etwas Besseres: den Moment, in dem du eine Stecknadel zu Boden fallen hören könntest. Den Moment der Ehrfurcht und des Respektes, der sich schweigend und niemals geschwätzig einstellt. Davon aber hat der arme Arpeggio, der sich einsam surrend um die eigene Achse dreht, noch niemals etwas gehört. 

So bleibt der Super-Droide aus unserer Sicht das, als was er eben konzipiert wurde: ein virtuoser Robotnik, ein Imitator, der Virtuosität auf perfekte Weise nachzuahmen versteht. Das schmälert nicht den Ruhm seines Erfinders. Einen begnadeten Klavierspieler aber ersetzt es so wenig wie die Stille in der Musik.